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Deutsche Industrie schwächelt

26.09.2024Artikel
Dr. Henrik Meyer
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Bis heute gilt die Industrie als das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Tausende Unternehmen, darunter viele mittelständische Betriebe, stehen für technologische Spitzenklasse, Millionen von Arbeitsplätzen und einen hohen Exportüberschuss Deutschlands. Seit einiger Zeit häufen sich allerdings die schlechten Nachrichten, die Industriebranche gerät zunehmend in Schwierigkeiten. Wo liegen die Probleme?

 

Hoher Anteil an der Bruttowertschöpfung

Zunächst einige Zahlen, die die Bedeutung der deutschen Industrie illustrieren: Weit stärker als in anderen Ländern bildet sie das Fundament für Wachstum und Wohlstand in Deutschland. So steuerte die Industrie bzw. das verarbeitende Gewerbe im Jahr 2021 mehr als 26 Prozent zur Bruttowertschöpfung hierzulande bei, während der Anteil in Frankreich lediglich bei 16,8 und in den USA bei 18,4 Prozent lag. Im Jahr 2023 verzeichneten die Industrieunternehmen einen Gesamtumsatz von 2,5 Billionen Euro, wobei der Automobilbau mit über 560 Milliarden Euro an der Spitze lag. Neben der Automobilbranche zählen der Maschinenbau, die Chemische Industrie und die Elektro-Industrie zu den wichtigsten Industriezweigen. Insgesamt beschäftigt die Industrie rund 8 Millionen Menschen in Deutschland.

 

Produktion und Arbeitsplätze rückläufig

Eine Analyse des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt nun, dass die deutsche Industrie sich in einer anhaltenden Schwächephase befindet und weniger produziert als noch im letzten Vor-Corona-Jahr 2019. Für das gesamte verarbeitende Gewerbe belaufe sich die Lücke im zweiten Quartal 2024 gegenüber dem Jahresdurchschnitt 2019 auf zehn Prozent. Auch die Zahl der Industriearbeitsplätze sinke sichtbar: Zuletzt seien saisonbereinigt 318.000 Menschen weniger im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt gewesen als im Jahresschnitt 2019, was einem Rückgang um vier Prozent entspricht.

Als alarmierend empfinden die Volkswirte des IW die Tatsache, dass nicht nur einzelne Bereiche, wie beispielsweise die Autoindustrie und deren Zulieferer, hart zu kämpfen haben. Seit eineinhalb Jahren sei der Negativtrend überall in der Industrie zu beobachten, so das IW. Eine Trendwende ist nicht in Sicht: Für das laufende Jahr erwarten Konjunkturforscher einen Produktionsrückgang um 2,5 Prozent zum Vorjahr.

 

Abwärtstrend – vier Gründe

Vier Gründe sind aus Sicht des Wirtschaftsinstituts für den anhaltenden Abwärtstrend verantwortlich. Erstens bremse die schwache Weltwirtschaft das Industriegeschäft. Dies drückt sich im deutschen Export aus, der zu vier Fünfteln aus Industriewaren besteht und im ersten Halbjahr 2024 knapp unter Vorjahresniveau lag. Zweitens werde in der Industrie wenig investiert, weil auch die Nachfrage aus dem Inland schwach ist und die Geschäftsaussichten keinen Anlass böten, neue Fabriken und Produktionsanlagen zu bauen. Die Krise der Bauwirtschaft dämpfe zudem die Nachfrage nach bestimmten Vorleistungsgütern.

Neben einem von ökonomischen und politischen Verunsicherungen geprägten Umfeld weist das IW als vierten Grund auf die schwindende Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen hin, die ein Ergebnis gestiegener Energiepreise, höherer Rohstoff- und Materialkosten sowie höherer Arbeitskosten sei. Hinzu komme eine Aufwertung des effektiven Wechselkurses des Euro gegenüber einer Reihe von internationalen Wettbewerbern.

 

Hohe Energiekosten und andere Herausforderungen

In ein ähnliches Horn stößt der Bundesverband deutscher Industrie (BDI), der Mitte September eine große Transformationsstudie vorgestellt hat. Nach Einschätzung des BDI haben die infolge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gestiegenen Energiekosten traditionelle Kostennachteile deutscher Unternehmen bei Lohnkosten, Steuern und Abgaben in einem Maße verschärft, dass bisherige Standortstärken wie hohe Produktivität, Innovationskraft und stabile Rahmenbedingungen dies nicht mehr kompensieren können.

Hinzu kämen die demografische Krise und ein schwächelndes Bildungssystem, die Deutschlands traditionell starkes Arbeits- und Fachkräfteangebot in den nächsten Jahren in einen Mangel umkehren würden. Ein teilweise über Dekaden erarbeiteter Vorsprung in Bereichen wie der Verbrennertechnologie verlöre obendrein an Bedeutung. Und durch wachsende geopolitische Spannungen und den weltweiten Protektionismus gerate das deutsche Exportmodell zunehmend unter Druck.

 

Stärken der Industrie

Doch gibt es auch Lichtblicke. Vor allem in den Bereichen Klimatechnologien, industrielle Automatisierung und Gesundheit habe Deutschland eine gute Ausgangssituation, um neue Industriewertschöpfung aufzubauen, so die Studie des BDI. Nach wie vor verfüge der Standort über kompetente Fachkräfte in Ingenieurberufen (auch wenn hier zukünftig Lücken drohen), zahlreiche Unternehmen mit hoher Technologiekompetenz, eine starke Innovationsbasis und gute Forschungsinstitutionen. Gleichzeitig könne sich durch Europas Vorreiterrolle im globalen Klimaschutz insbesondere für viele Klimatechnologien ein starker Heimatmarkt etablieren, der einen wichtigen Startpunkt zur Skalierung neuer Produkte für den Weltmarkt bietet.